Schrei mich an und schlag mich: leistungsorientierte Kommunikation Am Wettkampftag
Autor: Paul Schlütter
Lesezeit ca. 5min
Schon mal gesehen, wie ein:e Athlet:in im Wettkampf eine viel zu starke Gnackwatschen bekam und völlig desorientiert auf die Plattform gelaufen ist? In diesem Blogbeitrag will ich aus sportpsychologischer Sicht beleuchten, wie man im Wettkampfgeschehen eine möglichst leistungsfördernde Betreuung gestalten kann. Das ist keine Blaupause für einen garantierten Erfolg, sondern viel mehr als ein Rahmenkonzept zu verstehen, an dem man sich orientieren sollte.
Haltung und Zielsetzung im Betreuungsprozess
Meine Aufgabe im Wettkampfgeschehen als Betreuer:in ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen mein:e Athlet:in möglichst gute Leistung abrufen kann. Das bedeutet nicht nur, dass ich beim Aufwärmen unterstütze, sondern auch, dass ich bewusst so kommuniziere, dass dieses Individuum seine Bestleistung mit höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit abrufen kann. Daraus entsteht eine unterstützende Grundhaltung, welche ich über den gesamten Wettkampf hinweg behalten sollte. In der Praxis bedeutet das auch, dass ich meine eigenen Bedürfnisse (innerhalb eines gewissen Rahmens) zurückstelle und die der zu betreuenden Person priorisiere. Ein Beispiel: egal wie hart jemand auf der Plattform einen Versuch technisch in den Sand setzt, ich erlaube mir keinerlei wertende Bewertung dessen. Ein „Schade!“ und kurzer Austausch darüber, wovon die Person beim nächsten Mal mehr machen soll, sind völlig ausreichend.
Denn eins ist klar: das Ziel von allen Beteiligten ist es, alles an Leistung abzurufen, was an dem Tag abrufbar ist. Da wir selbst die tatsächliche Leistung nicht erbringen, bedeutet das für uns als unterstützende Fraktion: unsere Leistung an diesem Tag bezieht sich allen voran darauf, wie wir das Miteinander kommunikativ gestalten. Soweit ist es also nachvollziehbar, dass leistungsfördernde Kommunikation das oberste Gebot des Tages ist. Bedeutet: wenn ich meinen Athlet:innen etwas sage, dann sollte jedwede Kommunikation stets diesen einen Test bestehen: glaube ich, dass das, was ich jetzt sage, der Leistungsfähigkeit dieser Person hilft? Wenn nein, dann liegt gute Leistung hier in meinem Schweigen.
Kommunikation – was ist das eigentlich?
Ohne zu tief in die Theorie einzusteigen, hier ein grober Überblick: Kommunikation ist ein Prozess in welchem Informationen vermittelt werden. Dazu zählen verbale Kommunikation (mündlich und schriftlich), aber auch nonverbale Kommunikation: Körpersprache, Stimmlage, Gestik, Augenkontakt, körperliche Nähe/Distanz, sogar meine Kleidung.
Innerhalb dieses kommunikativen Prozesses gibt es immer mindestens eine sendende und eine empfangende Partei, die gemeinsam die unterschiedlichen Stufen durchlaufen. Das wichtige hier ist: das, was ich als Information sende, muss von der Empfängerseite dekodiert werden und dieser Dekodierungsprozess ist wahnsinnig anfällig für Verzerrungen. D.h. je nachdem ob und wie ich als Empfänger:in gerade unter starken Emotionen leide, womöglich Schmerzen habe, oder gedanklich gerade woanders war, kann sich dadurch das, was ich verstehe, verändern. Die einfachste Lösung dafür: „Ich habe verstanden, dass… ist das richtig?“
Als Betreuer:in ist es also absolut unabdingbar, dass ich hier nicht nur am Stichtag gute Leistung bringe, sondern dass ich diese sogar vorbereite.
Vorbereitung leistungsorientierter Kommunikation
Diese Arbeit beginnt einige Tage/Wochen vor dem Wettkampf. Folgenden Punkte habe ich hier bisher als besonders produktiv erfahren:
1: Rollenklärung
Hierbei geht es schlichtweg darum nochmals abzustecken, wer wofür verantwortlich ist. Vor ein Wettkampf sollte also, wie zu Beginn dargestellt, eine vernünftige Rollenklärung stattfinden: von meiner Grundhaltung als Betreuer:in bis zur Aufteilung verschiedener Aufgaben innerhalb des Wettkampfes (z.B. kurz vor der Plattform Kopfhörer abnehmen). Unter diesem Punkt kann man auch generell erkunden ob die Person eher eine lockere Betreuungsart (z.B. indem ich hin und wieder mal einen dummen Spruch mache oder zwischen den Versuchen hinter der Plattform eine Tanzeinlage darbiete), eher die aufpushende Art (z.B. Nackenklatscher und Riechsalz vor bestimmten Versuchen), oder einen Ruhepol (z.B. entspannte Gespräche zwischendurch, bewusst langsame Gänge zur Plattform) braucht. Auch spannend: zu welchem Zeitpunkt ist welche Art vielleicht eher leistungsfördernd?
2: Instruktionale vs. motivationale Anweisungen
Instruktionale Anweisungen sind als technischer Input zu verstehen (was Athlet:innen technisch besser machen sollen), während sich motivationale Anweisungen zuvorderst auf Anstrengung beziehen. Technisches Feedback in Form von instruktionalen Anweisungen sollte im Wettkampf nur in zwei Szenarien gegeben werden: wenn eine Bewegung nicht wettkampfgültig ist (z.B. Beugetiefe oder Hebelockout) oder wenn es explizit von Athlet:innen gewünscht ist. Motivationale Anweisungen hingegen, die klassischen „Komm auf jetzt!“ und „Schieb die Scheiße weg!“, stehen hier im Vordergrund, insbesondere vor und auf der Plattform. Der Grund hierfür ist, dass Veränderungen von automatisierten Bewegungsmustern mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer kurzfristigen Verschlechterung der Leistung führen können. Ich sollte mir also vor einem Wettkampf Zeit nehmen, die zu betreuenden Athlet:innen zu fragen, ob es irgendeine Art von Input gibt, die sie im Wettkampfkontext haben wollen und technische Anweisungen nur dann einsetzen, wenn sie a) von Athlet:innen gefordert werden und b) meiner Ansicht nach leistungsfördernd sind. Im Zweifel gilt auch hier: Klappe halten kann leistungsfördernd sein.
3: Aktivierungsregulation
Ob zu nervös oder zu müde: auch wir Betreuer:innen können eine Rolle in der Aktivierungsregulation unserer Athlet:innen spielen. Diese gilt es aber vorzubereiten, indem ich mich über einige Sachen bei den Personen erkunde: waren sie bei guten Leistungen in der Vergangenheit eher zu nervös oder zu entspannt? Woran merken sie das? Was haben sie bisher getan, was ihnen hilft das zu regulieren? Und was könnte ich dazu beisteuern, um diese Regulierung zu unterstützen? Ob das Abschirmen von Gesprächen mit anderen, Anweisungen sich hinzusetzen, der klassische Nackenklatscher kurz vor der Plattform oder das Abstellen vor der Wettkampfhalle in der langen Pause zwischen Disziplinen: Möglichkeiten gibt es viele. Die meisten Athlet:innen haben bereits ihre eigenen Routinen und Abläufe und auch hier ist es völlig in Ordnung sie einfach machen zu lassen und ergänzende Arbeit drumherum zu leisten.
In diesem Zusammenhang ist auch die eigene Aktivierungsregulation nicht zu vernachlässigen: wenn ich weiß, dass ich als Betreuer:in zu einer gewissen Nervosität neige oder aber manchmal zu entspannt bin, dann kann ich auch für mich selbst überlegen: was hilft mir in solchen Situationen, damit ich möglichst leistungsfördernd für meine Athlet:innen präsent bin?
4: Körperkontakt und Körpersprache
Dieser Bereich deckt sich teilweise mit Punkt 3, aber hierauf gilt es mit besonderem Feingefühl einzugehen. Denn: Körperkontakt in Form von Schellen, gekneteten Ohrläppchen oder einer ruhigen Hand auf den Schultern vor der Plattform kann für manche durchaus leistungsfördernd sein, für andere allerdings das Gegenteil und kann sogar im Bereich der interpersonellen oder (je nach Körperbereich) sexualisierten Gewalt eingeordnet werden. Auch zu beachten ist die Tatsache, dass ich für jedwede Art des Körperkontakts und Interaktion mit Athlet:innen deren Grenzen und Wohlbefinden nicht nur respektieren, sondern schützen sollte. Ich kann es nicht genug betonen: bei solchen Berührungen sollte man als Trainer:in immer vorab Athlet:innen in erster Linie fragen, was ihnen helfen würde – dann kann ich selbst Vorschläge machen und mir dafür das Einverständnis bestätigen lassen.
Auswertung
Sofern ich all diese Bereiche beachtet und neben den üblichen Aufgaben (Einhaltung des Zeitplans, Versorgung mit Essen/Trinken, etc.) entsprechende Leistung abliefere gehe ich hier meiner Aufgabe als Betreuer:in so gut nach, wie ich das eben kann.
Dennoch ist es wichtig diese Art der individualisierten Wettkampfbetreuung im Nachgang auszuwerten: was hat der Athlet:in gut getaugt, was weniger? Was könnte man vielleicht im nächsten Wettkampf mal ausprobieren, was leicht außerhalb der Komfortzone liegt? Was habe ich als Betreuer gut gemacht, wovon sollte ich mehr machen? Diese Auswertung ist nicht nur wichtig, damit ich meinen Aufgaben in Zukunft besser nachgehen kann, sondern auch damit Athlet:innen ihre eigene Autonomie in diesem Kontext erleben können und bemerken: ich bin dafür da, um sie bei ihrer Leistungserbringung bestmöglich zu unterstützen.
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