Autor: Paul Schlütter
Lesezeit ca. 8-10min
Ein Schrei, eine Backpfeife, eine Nase Riechsalz – geplante Routinen können die Leistungsfähigkeit steigern – und das unabhängig vom Alter, sportlichen Niveau, Geschlecht, oder der Art der Intervention, die genutzt wird (Rupprecht, Tran & Gröpel, 2021). In diesem Blogbeitrag möchte ich darlegen was die dahinter liegenden Mechanismen sind und wie man solche pre performance Routinen (PPR) ausarbeiten und verfeinern kann, damit die eigene Leistung, als auch Leistung von zu betreuenden Athlet:innen zuverlässiger wird.
Das Wichtigste in Kürze:
–> PPR sind feste Abläufe, die Athlet:innen vor einer Leistungssituation durchlaufen, um ihre Leistungsfähigkeit zu optimieren
–> PPR können unterschiedlich aussehen und sollten auf ihre jeweilige Disziplin angepasst sein
–> Die meisten Athlet:innen haben bereits PPR und benötigen lediglich ein wenig Feinschliff
–> Abhängigkeiten von externen Faktoren sind bei PPR zu vermeiden
–> Coaches und Betreuer:innen sollten das Bewusstsein für PPR schärfen, Athlet:innen helfen bestehende zu evaulieren und ggf. anzupassen
–> Dazu ist es wichtig im Training und Wettkampf sichere Räume dafür zu schaffen
Was sind pre-performance Routinen?
Hierunter kann man alles zusammenfassen, was Athlet:innen und andere Personen im Sport als feste Abläufe vor einem Wettkampf durchlaufen um sich möglichst optimal auf eine Leistungssituation vorzubereiten: die Nudeln am Abend vorm Rennen, der Lieblingssong im Warmupbereich, oder der Nackenklatscher vor der dritten Beuge. Sie helfen dabei die Aufmerksamkeit in das Hier und Jetzt zu holen und in eine mentale Zone zu kommen, die das Abrufen von optimaler Leistung erleichtert und wahrscheinlicher macht.
Diese Routinen gewinnen insbesondere in Drucksituationen an Wichtigkeit, denn sie können Dinge fördern, die (in der Regel) wichtig für die körperliche Bereitschaft sind. So werden in der Literatur Elemente wie Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit dadurch positiv beeinflusst.
Das Ziel ist also klar: durch geplante Routinen bin ich in der Lage in einer Leistungssituation besser auf diese vorbereitet zu sein und erhöhe somit die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine in dem Moment beste Leistung abrufen kann. Entsprechend sollte ich meine PPR so planen, dass sie mir auch erlauben in diese Zone zu kommen.
Wie können PPR aussehen?
Nebst den bisher erwähnten Möglichkeiten hier ein paar weitere Beispiele, um ein besseres Verständnis für diese Routinen zu schaffen und euch ein paar Impulse zu geben wie diese im Powerlifting aussehen könnten. Diese unterteile ich jeweils nach den Grundübungen.
Vor der Kniebeuge haben Athlet:innen üblicherweise eine feste Reihenfolge und Methode für das Anziehen der Handgelenksbandagen, einen bestimmten Zeitpunkt an dem sie ihre Kopfhörer absetzen und eine auf der Plattform festgelegte Reihenfolge für das Setup und Rauslaufen mit der Hantel (z.B. die Hantel in der Hand drehen, etc.)
Beim Bankdrücken gehören auch Dinge wie die Handgelenksbandagen, das Bankdrückhemd, aber vor allem auch das Setup auf der Bank zu den gängigen Routinen: welche Hand zuerst die Hantel berührt, sowie der genau geplante Ablauf der einzelnen Schritte – vom Legdrive bis zum Setzen des Griffs und Herausheben der Hantel.
Das Kreuzheben ist in meiner Erfahrung der Lift, bei dem Routinen sich am ehesten interindividuell unterscheiden: Riechsalz vs. kein Riechsalz, Nackenklatscher, die Reihenfolge in der die Füße unter die Hantel gestellt werden, Blickrichtung und viel mehr sind hier Abläufe, die man in seiner Routine einbauen kann. Hier gibt es auch die wohl größten Unterschiede zwischen solchen, die für Sumo ein zeitintensives Setup haben und jenen, die conventional ziehen und dafür einfach schreiend zur Hantel rennen und direkt anfangen.
Hierbei ist wichtig: die meisten Athlet:innen haben bereits eigene Routinen, ohne dass sie sich dieser sonderlich bewusst sind. Entsprechend kann es sinnvoll sein in erster Linie zu schauen, welche bereits vorhanden sind und auszuwerten inwiefern diese der Leistungsfähigkeit dienen, oder ihr sogar im Weg stehen. Ein weiterer wichtiger Punkt: jede Routine ist individuell und es gibt hierbei keine „richtige“ oder „falsche“ Herangehensweise. Aber: solche Routinen sollten durchaus auch zeitlich begrenzt sein, damit man im Zweifel (z.B. nach einem Kommando wie „Zürücklegen!“) noch ausreichend Zeit hat, um von vorn zu beginnen.
Ein Punkt, der gern übersehen wird: vor allem bei Wettkämpfen mit langer Anreise kann es hilfreich sein sich im Vorfeld bereits Gedanken über die Routinen vor Ort zu machen – wie gestaltet man den Abend vorm Wettkampf? Wie sieht der Ablauf am Morgen davor aus? Welche Aktivitäten helfen mir bei meiner Aktivierungsregulation für meine Leistungsfähigkeit? Hier gilt üblicherweise: nah an dem, was man sowieso im Trainingskontext tun würde.
Grundsätzlich sollte klar sein: solche Routinen gilt es im Training zu üben. Insbesondere in Sportarten wie unserer, in der wir wahnsinnig wettkampfspezifisch trainieren können, gibt es in nahezu jeder Einheit die Möglichkeit diese Prozesse zu trainieren und optimieren.
Wie sollten Routinen nicht aussehen?
So wertvoll PPRs auch sein mögen: es ist entscheidend, dass Athlet:innen davon unabhängig bleiben. Eine übermäßige Fixierung auf die Einhaltung einer bestimmten Routine kann kontraproduktiv sein, insbesondere wenn äußere Umstände es unmöglich machen, die Routine wie gewohnt durchzuführen (z.B. wenn man nach 30s Setup bei der Bank von vorn beginnen muss). Auch eine Verknüpfung von Leistungsfähigkeit mit spezifischen, oft externen Faktoren kann zu einem erhöhten Stresslevel führen, wenn diese Faktoren nicht kontrollierbar sind.
Deshalb ist es wichtig, dass Athlet:innen lernen flexibel zu bleiben und alternative Routinen zu entwickeln, die ihnen helfen, trotz unvorhergesehener Herausforderungen, leistungsfähig zu bleiben. Diese Flexibilität ist ein zentraler Aspekt der Resilienz, die in der Sportpsychologie als Schlüsselkompetenz betrachtet wird. Ein Training dieser mentalen Stärke sollte daher Teil jeder sportpsychologischen Betreuung sein.
Die Rolle von Coaches und Betreuer:innen
Coaches und Betreuer:innen spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Implementierung von PPR. In erster Linie ist es unabdingbar zuerst, durch dazugehörige Gespräche, ein Bewusstsein für den möglichen positiven Einfluss von PPR zu erzeugen. Dabei geht es nicht darum „richtige“ oder „falsche“ Routinen zu differenzieren, sondern viel mehr zu erkunden: sind die bereits vorhandenen Routinen hilfreich oder hinderlich?
Hinderliche Routinen könnten solche sein, die von externen Faktoren abhängig sind (z.B. das Dabeisein einer bestimmten Person für einen individualisierten Handschlag), oder solche, die Athlet:innen in einen Zustand versetzen, der hinderlich ist. So ist es z.B. wenig hilfreich sich vor einer schweren Kniebeuge wiederholt durch den Kopf gehen zu lassen was alles schief gehen könnte und Selbstgespräche in eben diese Richtung zu führen.
Zusätzlich können auch gemeinsame PPR für das Wettkampfgeschehen entwickelt werden, sofern sicher ist, dass man dort die Möglichkeit dazu haben wird. Ein Wortwechsel, oder gar ein kurzer körperlicher Impuls können auch dazu gehören. Wichtig: hier stehen immer die Bedürfnisse und Grenzen unserer Athlet:innen im Vordergrund.
Hier ein Beispiel einer solchen gemeinsamen PPR aus dem Judo: https://www.youtube.com/embed/n85Xay3zfKk
Ebenso hilfreich kann es sein zu überlegen wie spezifisch anwendbar bestimmte Routinen für die jeweilige Disziplin und Situation sind. Im Kraftdreikampf wäre es z.B. eher hinderlich, wenn jemand vor einer Kniebeuge seinen Kopf wiederholt so doll gegen die Hantel schlägt, dass er danach zu benommen ist, um sein 1RM zu bewegen. Unter Umständen wäre das Bestehen auf intensive Kettlebellübungen im Aufwärmbereich vor dem Kreuzheben nicht unbedingt förderlich für die körperliche Leistungsfähigkeit.
Zuletzt ist es wichtig, dass Coaches und Betreuer:innen Räume schaffen, in denen Athlet:innen neue Routinen ausprobieren und erproben können. So kann ich im Training bei bestimmten Übungen Zeit dafür einplanen, oder das im Rahmen eines sportpsychologischen Workshops anleiten lassen.
Fazit
Pre-Performance-Routinen sind ein wertvolles Werkzeug, das Athlet:innen helfen kann, ihre Leistung zu optimieren, indem sie in einen mentalen Zustand versetz werden, der das Abrufen von der höchstmöglichen Tagesleistung erleichtert. Während diese Routinen einen erheblichen Beitrag zum Erfolg leisten können, ist es wichtig, dass Athlet:innen lernen, flexibel zu bleiben um nicht von spezifischen Abläufen abhängig zu werden. Coaches und Betreuende spielen hierbei eine zentrale Rolle, indem sie Athlet:innen dabei unterstützen, individuelle, kontrollierbare und anpassungsfähige Routinen zu entwickeln und zu perfektionieren.
Durch das Bewusstsein für die Bedeutung von PPRs und die gezielte Arbeit an diesen Routinen kann das volle Potenzial von Athlet:innen entfaltet und ihre Leistungsfähigkeit nachhaltig gesteigert werden.
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Literatur:
Rupprecht, A. O., Tran, U.S., & Gröpel, P. (2021). The effectiveness of pre-performance routines in sports: a meta-analysis. International Review of Sport and Exercise Psychology, 17(1), 39-64.